Loslassen in der Rushhour – Autonomes Fahren in Shenzhen
Ein Erfahrungsbericht aus der Zukunft des Fahrens
Ein Auto in China auf öffentlichen Straßen testen? Durch meine Kontakte hatte ich die seltene Gelegenheit zu einer ganz besonderen Testfahrt – im neuen AITO M9, ich würde es „Smart-SUV“ nennen, der unter anderem in Kooperation mit Huawei entwickelt wurde.
Kurz vor der Abfahrt erklärte mir mein Dolmetscher, dass wir gleich das autonome Fahrsystem aktivieren würden. Mein Puls stieg spürbar. Neben mir auf dem Beifahrersitz saß Jerry, ein Mitarbeiter des Autohauses. Nachdem er per Sprachbefehl den Modus aktiviert hatte, forderte er mich auf:
„Füße weg von den Pedalen, Hände weg vom Steuer – und dann einfach loslassen.“
Und tatsächlich: Der Wagen glitt wie von Geisterhand durch die dichte Rushhour von Shenzhen. Fußgänger, E-Scooter, Fahrräder und eine Vielzahl anderer Fahrzeuge – das System meisterte alles souverän. Etwa alle zwei Minuten musste ich kurz die Hände ans Lenkrad legen – eine gesetzlich vorgeschriebene Sicherheitsmaßnahme bei Systemen mit Level 2+.
20 Minuten lang bewegte uns der AITO M9 sicher durch den komplexen Stadtverkehr: Spurwechsel, Rechtsabbiegen trotz querender Fußgänger, das Einscherenlassen von Bussen – stets mit vorausschauenden Reaktionen auf plötzlich auftauchende Hindernisse und Veränderungen im Verkehr – inklusive dynamischer Routenanpassung.
Der Clou zum Abschluss: Wir stiegen alle vor dem Autohaus aus, und der SUV parkte sich anschließend vollkommen selbstständig auf engstem Raum ein. Eine beeindruckende Erfahrung.
Meine Eindrücke und Gedanken:
✅ Beeindruckend, wie sicher das System selbst in hochkomplexen Verkehrssituationen agierte – trotz Fußgängern, Rollern und dichter Fahrzeugkolonnen.
✅ Faszinierend, wie schnell und eigenständig das System auf Änderungen der Route reagierte.
✅ Obwohl offiziell nur Level 2+, fühlte sich die Fahrt eher wie Level 4 an.
✅ Erstaunlich präzise parkte der über zwei Tonnen schwere SUV selbstständig auf engstem Raum ein.
✅ Ein Paradebeispiel, wie effizient Kooperationen zwischen Tech-Unternehmen, Automobilherstellern und Städten funktionieren – wie hier zwischen AITO (Seres), Huawei und Shenzhen.
✅ Und das alles zu einem Preis von rund 65.000 Euro – in Europa derzeit undenkbar.
Brauche ich autonomes Fahren?
Nein, zwingend notwendig ist es für mich nicht.
Aber ich hätte gerne mehr von der Sicherheit, die mir die zahlreichen Sensoren, Kameras und das Lidar-System des AITO M9 boten. Die permanente Rundumüberwachung des Fahrzeugs vermittelte mir ein völlig neues Gefühl der Kontrolle – sowohl für das Auto als auch für mich als Fahrer.
Brauche ich all die digitalen Features und riesigen Displays?
Nein. Aber der erstklassige Sound? Ja. Und die individuell konfigurierbaren Funktionen für Beifahrer und Rücksitze bringen echtes Business-Class-Feeling für Roadtrips.
Was ich mir wünsche:
Mit den bereits heute verfügbaren Technologien sollten wir über autonomes Fahren hinausdenken – hin zu mehr ganzheitlicher Sicherheit im Straßenverkehr - WICHTIG - für alle Beteiligten. Dafür braucht es:
· Offenheit für Kooperationen - Industrie - Technologie - Verbände - Staat - Städte
· Offene Standards
· Und aus meiner Sicht besonders wichtig: die aktive Einbindung aller Verkehrsteilnehmer – Fußgänger, Radfahrer und der Verkehrsräume - Städte und Gemeinden.
China denkt smart - nicht Telefon
Die Chinesen denken nicht mehr in „Autos“ wie wir. Sie entwickeln smarte Mobilitätslösungen für den realen Verkehr – verpackt in stylischen „Kisten auf vier Rädern“. (Kiste = Wohnzimmer, Büro, Kino, Konzertsaal)
Sie bieten Lösungen, um unsere Zeit zwischen A und B individueller, effizienter und sicherer zu gestalten.