Die Kunst des Teamworks beim Coachbuilding? Interview mit Andrea Zagato
Zagato - Die COLLECTORS SCHMIEDE
Wenn man über automobile Ikonen spricht, führt kein Weg an Zagato vorbei. Das Mailänder Familienunternehmen steht seit über 100 Jahren für eine selten gewordene Verbindung aus avantgardistischem Design, technischer Raffinesse und handwerklicher Perfektion.
Firmengründer Ugo Zagato kombinierte sein Wissen aus dem Karosserie- und Flugzeugbau – und schuf dadurch leichtere, aerodynamischere Fahrzeuge, die ihrer Zeit weit voraus waren. Marken wie Alfa Romeo, Ferrari und Porsche vertrauten ihm ihre schwerfälligen Serienmodelle an – und Zagato verwandelte sie in pfeilschnelle Rennmaschinen, die fortan die Siegerlisten der bedeutendsten Wettbewerbe dominierten.
Heute führt sein Enkel Andrea Zagato dieses einzigartige Erbe mit visionärem Anspruch weiter. Unter seiner Leitung ist Zagato nicht nur ein Bewahrer der Tradition, sondern ein kreatives Kraftzentrum, das mit jedem Projekt eine zeitlose, eigenständige Designsprache jenseits kurzlebiger Trends formt – stets mit großem Respekt vor der Vergangenheit und dem Blick in die Zukunft.
Was Andrea Zagato und sein Team auszeichnet, ist ihr kompromissloser Ansatz: Jedes Fahrzeug entsteht als maßgeschneidertes Kunstwerk – fernab industrieller Serienproduktion. Im Mittelpunkt steht das Coachbuilding – eine traditionsreiche Disziplin der Automobilkunst, vergleichbar mit der Haute Couture in der Mode. Dabei wird die Karosserie eines Fahrzeugs in feinster Handarbeit geformt, meist auf einem bestehenden Fahrgestell und Antriebsstrang – abgestimmt auf die Vision des Kunden, aber immer geprägt durch die unverwechselbare, oft skulpturale Formensprache des Hauses Zagato.
Diese Fahrzeuge sind keine Massenware, sondern Sammlerstücke mit Seele. Andrea Zagato bringt es auf den Punkt: „Autos von der Stange verlieren nach der ersten Fahrt sofort an Wert und werden alle fünf Jahre ausgetauscht. Unsere Fahrzeuge sind Sammlerstücke, die ab dem ersten Tag im Wert steigen und für die Ewigkeit entwickelt wurden. Sie gefallen nicht jedem – das macht sie so besonders.“
In einer Zeit, in der Konformität und Effizienz oft über Individualität gestellt werden, ist Zagatos Arbeit ein Statement – ein Plädoyer für Charakter, klare Linien und wahre Identität. https://www.zagato.it
„Perfektion ist kein Ziel – sondern ein Weg“
Bovensiepen Zagato: wenn bayerische Ingenieurskunst, italienisches Design und japanische Philosophie aufeinandertreffen.
Das Projekt Bovensiepen Zagato ist mehr als nur ein Fahrzeug – es ist das Ergebnis einer außergewöhnlichen Zusammenarbeit: bayrische Präzision, Mailänder Formensprache und die kreative Handschrift eines japanischen Stardesigners verschmelzen zu einem automobilen Gesamtkunstwerk.
Doch wie funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Ingenieuren in bayerischen Lederhosen und Designern in italienischen Maßanzügen? Zwei Kulturen, die auf den ersten Blick nicht unterschiedlicher sein könnten – und doch gemeinsam ein Projekt von seltener Tiefe und Raffinesse auf die Straße bringen.
Ein Gespräch mit Andrea Zagato über vertikales Denken, horizontale Kreativität – und die Kunst, ein diverses, internationales Team nicht nur zu führen, sondern zu inspirieren.
Dirk Belling:
Herr Zagato, Ihre Marke steht seit über 100 Jahren für handgefertigte Automobile mit Seele – mit Stil, Präzision und einer fast philosophischen Tiefe. Wie schaffen Sie es, ein Team aus bayrischen Ingenieuren und italienischen Designern so erfolgreich zu führen?
Andrea Zagato:
Indem ich ihre Unterschiede respektiere – und bewusst kombiniere.
Die Deutschen sind vertikale Denker: strukturiert, präzise, konsequent. Sie streben nach Perfektion – in jedem Detail. Das ist Ihr Erfolgsrezept, das machte Made in Germany so erfolgreich. Die Italiener dagegen sind horizontal: kreativ, emotional, flexibel. Sie denken in Kurven, nicht in Linien. Diese beiden Denkarten scheinen auf den ersten Blick unvereinbar. Aber zusammen? Sind sie unschlagbar.
Dirk Belling:
Das klingt fast nach einer Lebensphilosophie.
Andrea Zagato:
Ist es auch. In Italien leben wir „la dolce vita“. Wir glauben nicht an Perfektion – sondern an Glück, an Überleben, an Leidenschaft. Die Deutschen hingegen glauben an den perfekten Plan. Wenn Sie diese zwei Mentalitäten in einem Raum vereinen, kann etwas wunderbar Neues entstehen: Struktur trifft auf Spontaneität. Kontrolle trifft auf Intuition. Daraus entsteht Innovation.
Dirk Belling:
Sie vergleichen das oft mit dem Bogenschießen. Warum?
Andrea Zagato:
Ich liebe dieses Bild, weil es das kulturelle Denken so gut beschreibt.
Ein Japaner – ähnlich wie ein Deutscher – wird sagen: Nicht das Ziel zählt, sondern der Weg dorthin. Der Fokus liegt auf der Technik, auf dem Prozess.
Ein Italiener hingegen fragt: „Haben wir getroffen?“ – Das Wie ist nebensächlich.
Beide Haltungen haben ihre Berechtigung. Die Kunst besteht darin, sie zu verbinden.
Dirk Belling:
Und wie setzen Sie das in Ihrem Team um?
Andrea Zagato:
Indem ich Menschen einstelle, die anders denken. Unser Chefdesigner Nori ist ein wunderbares Beispiel: Er hat fernöstliche Philosophie in Japan studiert, dann Automobildesign in Pasadena, Kalifornien. Er ist kein Skizzen-Feuerwerker. Er denkt zuerst tief. Langsam. Strukturiert. Und bringt dann zwei völlig unterschiedliche Lösungen auf den Tisch – brillant, durchdacht.
Ein typischer italienischer Designer würde 20 Skizzen machen – alles lebendig, spontan, oft genial. Nori denkt wie ein Bogenschütze. Und das ist gut so.
Dirk Belling:
Was bedeutet das konkret für die Teamarbeit?
Andrea Zagato:
Mein Team ist eine bewusste Mischung aus vertikal und horizontal Denkenden.
Nur so können wir erfolgreich in unseren Projekten mit Menschen auf der ganzen Welt kommunizieren.
Für mich ist São Paulo einer der horizontalsten und kosmopolitischsten Orte der Welt ist. Offen, kreativ, divers – das ist der Gegenpol zu japanischer Disziplin. Genau dort ist mein Vertriebschef Marcel geboren, als Sohn eines japanischen Vaters und einer italienischen Mutter. Was seine Erfahrungen noch vielfältiger und breiter macht, ist die Tatsache, dass er in Deutschland aufwuchs und dort sein Studium als Maschinenbauingenieur abschloss. Deshalb ist er ein wichtiger Teil meines Teams.
Ein großartiges Team entsteht nicht durch Gleichheit, sondern durch Unterschiedlichkeit – gepaart mit Respekt und Neugier.
Dirk Belling:
Das klingt sehr modern – fast schon wie ein Start-up-Mindset im traditionellen Coachbuilding.
Andrea Zagato:
Ganz genau. Wir bauen seit 106 Jahren Autos – aber unser Denken ist zeitlos und immer nach vorne gerichtet, wir waren in den 80ziger Jahren eines der ersten Unternehmen die CAD einsetzten, da hatten viele unsere Kunden noch nicht einmal Computer, (lacht).
Eine starke Marke braucht eine starke Identität, aber auch ein offenes Team.
Ich sehe mich nicht als Chef, sondern als Mentor, als Storyteller. Ich höre zu. Ich vertraue. Ich lasse zu, dass andere besser sind als ich – in ihren Bereichen.
Dirk Belling:
Ihr Vertriebschef Marcel Yoshida hat Sie als „Leader, Mentor, Meister“ beschrieben. Er sagt, mit Ihnen zu arbeiten sei „kein Job, sondern Leidenschaft leben“.
Andrea Zagato: (lächelt):
Marcel ist ein kluger Mann, deshalb habe ich ihn zu uns geholt.
Am Ende geht es im Design – wie im Leben – darum, etwas Echtes, greifbares zu erschaffen.
Kein Blender-Design. Kein PowerPoint-Innovationstheater. Sondern echte Fahrzeuge, die über eine lange Zeit Geschichten erzählen.
Und diese Geschichten entstehen nur dann, wenn Menschen sich verstanden, gehört und gebraucht fühlen. Das ist kein Management-Trick. Das ist Menschlichkeit.
Dirk Belling:
Also keine One-Man-Show?
Andrea Zagato:
Nie. Ich bin nur ein Teil des Ganzen.
Ein Team lebt davon, dass jeder seine Perspektive einbringen darf. Dass Designer, Ingenieure, Philosophen und Vertriebler miteinander reden – nicht übereinander.
Und ja, bei Zagato sind wir ein Familienunternehmen. Im doppelten Sinne.
Wir sind nicht alle gleich – aber wir glauben an dasselbe.
Dirk Belling:
Herr Zagato, vielen Dank für dieses inspirierende Gespräch.
Andrea Zagato:
Danke Ihnen. Ich liebe es über meine Arbeit zu sprechen.
Ein Auto ist für mich mehr als Technik. Es ist ein kultureller Dialog auf Rädern.